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Kritik am Hirntod-Konzept

Unbehagen gegenüber dem Konzept

Von Sabine Arnold

Menschen, die als hirntot gelten, sehen weder wie tot aus, noch verhält sich ihr Körper so. Das ist einer der Hauptgründe, weshalb viele das Hirntod-Konzept in Frage stellen.

Die Kritik am Hirntod-Konzept betrifft verschiedene Ebenen. Grundsätzlich ist die oben genannte «Hirnzentriertheit» in Frage zu stellen, diese weltanschauliche Auffassung vom Menschen also, wonach alles, was das menschliche Leben ausmacht, mit dem Gehirn verbunden ist. Christian Schopper, Anthroposoph und einst als Neurologe auf der Intensivstation am Universitätsspital Zürich tätig, zitierte in einem Vortrag den Neurochirurgen Eben Alexander, dessen Nahtoderfahrung weltberühmt wurde: Alexanders Buch zeige, «dass die Folgerung, Gehirn ist gleich Seele, Gehirnfunktion ist gleich Seelenfunktion, Hirntod ist gleich Gesamttod, nicht zulässig ist»[i]. Schopper schreibt an einer anderen Stelle, wenn wir jemanden fragten: «Wo ist deine Seele?» oder «Wer bist du?», fassten sich die Menschen ans Herz, nicht an den Kopf.

Ein zentraler Punkt der Kritik ist ausserdem, dass die Menschen, die als hirntot gelten, nicht wie tot aussehen und sich auch nicht so verhalten. Ihre Körper sind noch warm. Sie sind in der Lage, Wunden heilen zu lassen. Sie verdauen und wachsen. Reflexe funktionieren noch. Zudem weiss man von Frauen, denen in diesem Zustand noch gesunde Säuglinge entbunden wurden.
Auf der Website des Bürger- und Patientenverbands «Gesundheit Aktiv» hiesst es: «Mit dem Gehirn sind nur drei Prozent des Körpers abgestorben, 97 Prozent funktionieren noch.» Alan Shewmon, Neurologe und Pädiater aus Los Angeles und einer der grössten Hirntod-Kritiker, konnte das in einer beeindruckenden Studie nachweisen: Er wertete 12‘500 dokumentierte Hirntod-Situationen aus. In 175 Fällen lebten hirntoddiagnostizierte Patientinnen und Patienten, ausreichend beatmet, noch länger als eine Woche. 56 Beispiele konnte er dank guter Datenlage noch genauer analysieren: «Insgesamt wiesen diese Patienten erstaunliche Entwicklungen bei der Wiederherstellung normaler Körperfunktionen oder der Erholung von Krankheiten auf. Sie bedurften zum Teil einer so geringen Betreuung, dass sie mit Hauspflege auskamen»[ii].

Spirituelle Fragen ausgeklammert
Wie bereits erwähnt, stimmen die christlichen Kirchen dem Hirntod-Konzept zwar zu, klammern spirituelle Fragen jedoch aus, die gerade beim Thema Organspende für viele Menschen eine grosse Rolle spielen: Was passiert am Übergang zwischen Leben und Tod mit dem Bewusstsein, mit Seele und Geist? Beeinflusst die Organspende diesen Prozess? Bleibt etwas von der Spenderin, vom Spender im Organ?

Um möglichen Antworten näher zu kommen, bietet sich eine Analyse des Hirntod-Konzepts und der Organspende aus anthroposophischer Sicht an.

[i] Schopper, Christian: Wachkoma, Hirntod und Organtransplantation. Fragen der Medizin heute. anthrosana-Heft Nummer 229, 2014, des Vereins für anthroposophisch erweitertes Heilwesen, anthrosana.

[ii] Edelhäuser, Friedrich: Person und Bewusstsein im «Hirntod» – Konzept aus neurologischer Perspektive. In: Der Merkurstab. Zeitschrift für Anthroposophische Medizin. 2014, Heft 5, S. 349-361.